Meine Reise beginnt

Meine Reise beginnt im Sommer 2012. Ich quäle mich seit ein paar Wochen mit einem Bandscheiben-Vorfall und der Frage: Warum ich? Das meine ich weniger vorwurfsvoll, sondern eher verwundert. Ich bin jung, habe immer viel Sport betrieben, bin vor drei Jahren noch einen Marathon gelaufen und habe keinen außergewöhnlichen Stress, weder beruflich noch privat. Ich habe kein Übergewicht, esse regelmäßig und einigermaßen ausgewogen, ich trinke nur gelegentlich und rauche zwischen 5 und 7 Zigaretten am Tag. Warum also bekomme ich einen Bandscheiben-Vorfall.

Er musste operiert werden, nicht nur die Schmerzen auch die neurologischen Ausfallerscheinungen waren zu groß. Ich konnte den linken Fuß nicht mehr heben. Während der Zeit im Krankenhaus hatte ich nach der Operation das Gefühl, in der Mitte durchgebrochen zu sein. Alles fühlte sich unsicher und instabil an, jede falsche Bewegung könnte mich zerbrechen lassen. Also erledigte ich die Arbeit fürs Büro, die ich mir habe schicken lassen, im Stehen auf dem Nachttisch.

Für die Schulmedizin war ich erfolgreich therapiert, jetzt noch ein bisschen Physiotherapie und zukünftig Aufpassen beim Heben und Drehen. Meine Frage blieb: Warum ich? Im Fernsehen hatte ich einen Beitrag über ein buddhistisches Gesundheitszentrum gesehen. Sie legen einem bei Schmerzen heiße Steine auf den Rücken. Ja, das will ich probieren. Statt heißer Steine bekam ich kalte Nadeln verpasst. Ca 30 Stück. Akkupunktur. Aua. Schon wieder Schmerzen.

Mein Therapeut war gleichzeitig Abt des buddhistischen Klosters, das dieses Gesundheitszentrum betreibt, und ZEN-Meister. Ohne dass ich ein Wort sagen musste, las er aus meinem Rücken mein persönliches Psychogramm. Ich sei ein – bildlich gesprochen – „Waisenkind“, das sich ständig produzieren müsse, damit es angenommen oder eben sinnbildlich von Eltern mit nach Hause genommen wird. Ich stehe unter ständigem Leistungsdruck, fühle mich nicht gut genug und begegne dem Leben mit Angst statt mit Lust. Ich sei wie ein Schauspieler, der ständig auf der Bühne steht, aber seine wahren Gefühle nicht offenbart, wahrscheinlich auch gar nicht mehr kennt. Dies alles täte ich aus Angst vor Verletzung und Zurückweisung.

Mir liefen die Tränen. Ich fühlte mich erkannt, ertappt, enttarnt. Ich war traurig und erleichtert, entsetzt und neugierig. Woher weiß er das? Wie macht er das? Und: Was mache ich jetzt damit?

Thay, so wird der Mönch gerufen, lud mich ins Kloster zur Teilnahme an seinen ZEN-Kursen ein. Dort begegnete ich zum ersten Mal bewusst meinen Ängsten. Ich lernte sie kennen und spüren, ich habe sie verflucht, verprügelt, verdrängt, über sie geheult und gelacht, meditiert und sie verleugnet. Losgeworden bin ich sie nicht. Bis heute nicht. Und ich werde es auch in diesem Leben nicht mehr schaffen. Aber ich habe die Einsicht gewonnen, dass ich mit ihnen leben kann. Leben will. Denn sie sind ein Teil von mir. Und diese Ängste bringen mich weiter, sie zeigen mir meine Grenzen und ich kann entscheiden, ob ich sie überschreiten will oder nicht. Manchmal ja, manchmal nein. Aber ich entscheide. Meine Ängste sollen mich nicht mehr beherrschen. Damit geht meine Reise zum Mannsein los.